Mittwoch, 28. April 2010

Am Purnima-Tag wird Lord Vishnu besungen - Opfergaben kommen kübelweise


Im April bei Vollmond versammeln sich die Hindus, um die Satyanarayan Puja abzuhalten. Rund um die großen Tempel ähnelt das Ereignis eher einem Volksfest als einem Gebetsritual.


Schon morgens ziehen Gruppen von Frauen mit großen Plastikkübeln auf dem Kopf durch die Stadt. Angeführt werden sie von skurrilen Gestalten. Dämonen, grell bemalt im Gesicht. Andere sind als Reiter mit stilisierten Holzpferden unterwegs, die sie sich wie Schwimmreifen um den Bauch gelegt haben. Die Figuren wirken irgendwie wild und lustig, ein wenig furchterregend auch. Doch die Frauen mit ihren Opfergaben wie Milch, Kokosnüsse und andere Früchte balancieren ihre Last anmutig und diszipliniert durch die Straßen.

Je näher wir dem Kapaleashwarar Tempel kommen, desto mehr Shops und Stände mit Devotionalien säumen den Weg: Götterfiguren aus Messing und Keramik, Räucherstäbchen und Kerzen, sowie allerhand undefinierbare Gegenstände, die für die Puja gebraucht werden. An einem Stand gießt ein Mann flüssiges Kokosfett in kleine Tonschälchen, in denen er vorher einen Docht befestigt hat. Selbstgemachte Lichter, die die Gläubigen im Tempel entzünden werden.

Zum Glück spricht uns hier niemand an, dass wir etwas kaufen sollen, obwohl wir neugierig die Auslagen betrachten. Man hat uns eindeutig als Nicht-Hindus identifiziert und was sollten wir denn auch mit den heiligen Gegenständen anstellen? Pech gehabt, ein tüchtiger Händler ist der Ansicht, dass wir unbedingt seine Postkarten kaufen sollten, die er ebenfalls im Sortiment hat. Ein anderer besteht darauf an, uns durch den Tempel zu führen. „We live in Chennai and we know the temple“, hält ihn endlich davon ab, uns seine Dienste weiterhin anzubieten.

Der elefantenköpfige Gott Ganesh liebt es süß

Ganz schnell ist es dunkel geworden und vor uns erstrahlt der Tempel jetzt in buntem Neon-Licht. Die grelle Reklame des benachbarten Seidenhauses Rasi Silks fügt sich harmonisch in das Leuchtszenario aus tamilischen Schriftzeichen am Tempelturm ein und spiegelt sich im Tempel-Teich.

Barfuß betreten wir das Tempelgelände und können noch im Dunkeln spüren, wie heiß der Boden am Tag gewesen sein muss. Menschen mit normal-empfindlichen Fußsohlen sollten hier lieber nicht in der Sonne spazieren gehen. Wir schließen uns einer Gruppe Inder an, die im Familienverband von Gebetsstätte zu Gebetsstätte zieht. Begleitet werden wir von einigen Musikanten, von denen einer ein Spazierstock-langes Blasinstrument spielt, das hohe, näselnde - für uns Westler ohrenbetäubende - Töne von sich gibt.
Dazu werden, wie ich später erfahre, sämtliche Namen des Gottes Ganesh gesungen. Dem elefantenköpfigen Gott wird außerdem seine Lieblingsspeise Modak, ein Kokosnuss-Zucker-Gemisch, gebracht, um ihn günstig zu stimmen, damit er alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Der wichtigste Gott, dem die Gläubigen an diesem Tag ihre Aufwartung machen, ist allerding Satyanarayana, eine besonders wohlwollende Erscheinungsform des Gottes Vishnu. Auch seine Namen werden gesungen, er bekommt Blumen und spezielle Speisen als Opfergaben.

Politische Parteien nutzen die Festlichkeiten, um auf sich aufmerksam zu machen

Vor einer größeren Gebetsstätte, steht bereits eine lange Menschenschlange an. Sie wollen ins Allerheiligste hinein, um einem anderen Gott ihre Aufwartung zu machen. Wer es diesmal ist, erfahren wir nicht, denn hier weist ein Schild darauf hin, dass der Zugang für Nicht-Hindus nicht erlaubt ist.

Nun wird es dringend Zeit, dass wir uns etwas zu Trinken kaufen und unseren Heimweg antreten. Nachdem wir unsere Schuhe vor dem Tempel abgeholt haben, geht es zurück zu Fuß - und nicht per Auto-Riksha, was viele Inder irgendwie merkwürdig finden, zumal es immer noch 30 Grad heiß ist.

Dafür begegnen uns unterwegs vielen kleine Pooja-Feiern, denn in der Stadt finden sich auf Schritt und Tritt mittlere und kleine Tempel. Das lauteste Spektakel veranstaltet aber die regierende Partei des Landes, die den Vollmond-Tag - den Purnima-Tag - nutzt, um ihren jüngsten Kandiaten zu protegieren. Stalin heißt er, und in Indien findet diesen Namen niemand merkwürdig. Der Platzanweiser scheint strenge Order zu haben, jeden Besucher sofort einen Stuhl zuzuweisen, und da er sich nicht davon überzeugen lässt, dass wir eigentlich nur mal kurz schauen wollen, verlassen wir doch lieber das Gelände.

Text und Foto: Senya Müller